Zu den Schwellenbildern von Artur Laskus

Peter Krumme



Türen öffnen sich nicht von selbst, denn das Zeitalter der Magie ist vorbei.
Doch ein Rest ist geblieben: Türwunder und wunderbare Türöffnungen
sind mit Hilfe der Technik erst heute recht eigentlich möglich.
Das "Sesam öffen dich" wird nicht gesprochen, sondern durch Knopfdruck
oder gar bei Durchschreiten einer Lichtschranke zum stummen Befehl.

Auch die Angst, schließen sich nach Betreten des Raumes die Türen hinter
dem Passanten, ist geblieben. Banken, Supermärkte, Garagen und nicht zuletzt Fahrstühle laden zum Betreten ein, doch gleichen die Räume hinter der Tür Labyrinthen der Zweckmäßigkeit, Fallen der Angst oder –
wie der fensterlose Lift – Käfigen, mit dichtem Metall verschlossenen.

Doch soll das nicht mein Thema sein.

Vielmehr stimme ich ein Lied an, ein – wenn man so will – verklungenes, archaisches. Ich stimme an ein PARAKLAUSITHYRON.
Ein Lied bei geschlossener Tür; das Lied, so weiß es die Poesie,
des EXCLUSUS AMATOR, das Lied des ausgeschlossenen Liebhabers.

Ich verharre auf der SCHWELLE, dem LIMEN, dem Übergang
zwischen INNEN und AUSSEN.
Kein Wunder, daß mein Lied eine KLAGE ist, zunächst jedenfalls,
Klage über Abwesendes – die abwesende Geliebte.

Und flüchte mich auf der Stelle in Zitate.


Und wenn, Lyce, du wärst eines Barbaren Weib,
Tränkst vom äußersten Don, wahrlich, dir ging's ans Herz,
Mich so liegen zu sehn vor der verschlossenen Tür,
So vom heimischen Nord umbraust!
...

Sieh, ich knie vor Dir! Härter als Eichenholz
Ist Dein Herz, wie die Brut maurischer Nattern kühl.
Immer werde ich nicht so an der Schwelle stehn,
So geduldig bei Schnee und Eis

Horaz



Mögst du selber so ruhn, Konopion, wie du mich bettest
in der Kälte der Nacht hier vor der Türe am Haus!
Mögst du selber so ruhn, wie, Harte du mich, den Verliebten,
herzlos hier bettest! Dir ist Mitleid im Traume noch fremd.
Nachbarn haben Erbarmen, doch du nicht im Traume ... O warte,
bald gemahnt dich an dies alles dein bleichendes Haar.

Anthologie Graeca



Verspürte Kälte in größter Nähe. Erzwungenes Verweilen an der Schwelle,
die Erfüllung verheißt, aber Gegenwart (und sie wäre Nähe, Erfüllung, präsentischer Augenblick, Sinnlichkeit usf.) entzieht. LIMEN ist zugleich
das Bild der Geliebten, die sch verweigert, ihre Gegenwart verweigert,
und die Personifikaton dieser Abwesenheit.

Die Schwelle trennt, markiert und demarkiert eine Grenzlinie, auf der volle Gegenwart sich einzig durch Beschwörung einer Abwesenheit herstellen läßt.
Als wäre von Sehnsucht nichts geblieben: "I have not left temptation in the
path of the sweeper of the threshold" (Joyce, Finnegans Wake).
Keine Spur einer Versuchung hinterläßt der AMATOR EXCLUSUS,
seine Bestimmung ist das WARTEN. Er hat Muße und ist doch nicht müßig.

"Der Aufenthalt in diesem Zwischen ist das Warten" (Heidegger).

Er ist gelassen, nicht im Sinne einer Tugend, sondern in dem des
Nicht-Eingelassen-Werdens.
Er ist eingelassen in ein ZWISCHEN, das ihm ein Nahekommen,
ein Wiederkommen des Abwesenden verheißt.
Er ist den Gesetzen der Repräsentation, der Vergegenwärtigung,
ganz nahe.

Denn "Denken ist das In-die-Nähe-kommen zum Fernen" (Heidegger)
Denken ist kein Vorstellen mehr, sondern ein Warten auf der Schwelle,
ein Absehen-Können von der Fülle der Gegenwart.



Sollte dies nicht bedacht werden, wenn wir jedenfalls für einen Moment
auf der Schwelle einer Ausstellung von Bildern verharren?
Wie nähern wir uns diesen Bildern, diesen Vor- und Darstellungen?
Bleiben wir nicht ausgeschlossene Liebhaber, auch wenn wir die Schwelle überschritten haben?
Wir haben sie immer schon überschritten, das ist vielleicht unser Fehler.
Weil wir nicht gelassen sind, nicht eingelassen sind,
nicht zum Fernen in die Nähe kommen können.


"Ich fand es sehr schön, wie Du den Chok der plötzlich um Dich getretenen Leere beschreibst, das ist ein Ansatz zum 'anderen Zustand'. Aber man will nicht eintreten
in ihn; vielleicht aus gesundem Mißtrauen. Und schwätzt vor der Schwelle. Sammelt sich, indem man sich zerstreut, ist gut 'hinter sich' uund tief unter dem Seichten."

Robert Musil, Brief vom 9.III.1923



"Sich nähern betreibt das Spiel der Entfernung. Das Spiel des Fernen
mit dem Nahen ist Spiel der Ferne. Sich fernen Gegenden nähern ist der Ausdruck,
der die fernen Gegenden zum Aufstrahlen zu bringen sucht bei der Berührung
mit einer dann als fern bezeichneten Gegenwart, wie sie das in gewisser Weise immer ist; so hingen Gegenwart und Ferne erneut zusammen: ferne Gegenwart, Ferne einer Gegenwart, die fernen Gegenden wären dort gegenwärtige.
Das Nahe wäre dann allein bewahrt vor der Ansteckung durch eine Gegenwart.
Nahe sein heißt nicht: gegenwärtig sein. Das Nahe verspricht, was es niemals halten wird. Lob auf das Nahen dessen, was entweicht: der bevorstehende Tod,
das Ferne des bevorstehenden Todes."

Maurice Blanchot, Le pas au-delà



"Im Warten, da ist nichts mehr, was Unterschied schüfe.
Warten ist der Unterschied, der alles Unterschiedliche schon in sich zurückgenommen hat. Gleichgültig selber, birgt es den Unterschied.
In seinem unaufhörlichen Hin-und-Her steht das Warten still.
Die Reglosigkeit des Wartens, und doch nicht reger als sie.
Immer ist das Warten im Warten verborgen.
Wer wartet, tritt ein ins verborgene Wesen des Wartens.
Was verborgen ist, öffnet sich dem Warten, doch nicht um sich zu enthüllen,
sondern um verborgen zu bleiben in ihm.

Warten öffnet nicht, schließt nicht. Man tritt ein in eine Beziehung,
die weder aufnimmt noch ausschließt.
Fremd ist das Warten dem Hin-und-Her der Dinge, die sich bald verbergen,
bald zeigen.
Verborgen ist dem Wartenden nichts. Doch auch den Dingen,
die sich zeigen, ist er nicht nah.
Beim Warten sind alle Dinge zurückgekehrt ins Erscheinungslose."

Maurice Blanchot, Warten Vergessen


Warten an der Schwelle: die produktivste Tätigkeit, aus der unversehens das
nicht-gegenwärtige Gegenwärtige entsteht. wie in diesen abgebrochenen Zeilen,
die mehr als ein Klagelied sind, denn es gibt immer schon Varianten, Varianten
des Glücks, Triumphe nicht über das Abwesende, sondern Triumphe des Abwesenden:

"und wo
Gastfreundlich die Schwellen sind,
An blüthenbekränzter Straß',
Sie spüren nemlich die Heimath,
Wenn"

Hölderlin, Das Nächste Beste



Willkommen auf Golgatha, 1980, Öl auf Leinwand, 208 x 134 cm, Orig. in Farbe
Text aus dem Ausstellungskatalog:

ARTUR LASKUS
Die Kälte des Nahen
Bilder, Zeichnungen, Radierungen

Ausstellung Kunsthalle Bremen
14. Dezember 1980 bis 8. Februar 1981
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